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Farewell to Fairway
London (gms) - Die Briten haben es derzeit wahrlich nicht leicht. Erst schnappt
sich BMW den Autohersteller Rover, dann buhlen deutsche Konzerne um die
nationale Ikone Rolls-Royce, und jetzt müssen die eigenwilligen Inseleuropäer
auch noch Abschied von einem ihrer liebsten Nahverkehrsmittel nehmen - dem
berühmten London-Taxi.
Das Original (links) wurde nur behutsam retuschiert: Nachfolger TX1 (rechts).
"Fairwell to Fairway" heißt deshalb zur Zeit die Parole an der Themse, denn nach 39 Jahren wurde im September die Produktion des Klassikers eingestellt. Zwar wird das charmante Ungetüm, das 1958 als Austin FX 4 präsentiert und zuletzt als LTI Carbodies Fairway verkauft wurde, neben Doppeldecker-Bus, Big Ben und Tower Bridge das Stadtbild der Hauptstadt noch einige Jahre prägen, doch der Abschied ist endgültig - seit ein paar Tagen läuft die Auslieferung des Nachfolgers auf Hochtouren.
Daß sich auf der Insel eine so eigenständige Taxikultur entwickelt hat, ist vor allem der Droschkenabteilung von Scotland Yard zuzuschreiben. Dort wurde nach Recherchen der Zeitschrift "auto motor und sport" schon 1906 ein Anforderungskatalog für Taxen erlassen, der gleichermaßen dem Wohl von Passagieren und Fahrern dienen sollte und im wesentlichen noch heute Bestand hat. Natürlich wird 1997 keiner mehr auf den einstmals vorgeschriebenen Stauraum für einen Heuballen bestehen, doch der auf 7,62 Meter begrenzte Wendekreis und die strikte Trennung von Chauffeur und Passagier mittels einer Scheibe gelten noch immer.
Auch die Definition der Fahrzeughöhe nimmt konventionellen Limousinen, wie
sie überall sonst in Europa für den entgeltlichen Personenverkehr eingesetzt
werden, im Vereinigten Königreich jede Chance. Weil der englische Gentleman
seinen Hut nur in Gegenwart einer Dame oder in geschlossenen Räumen abnimmt, muß
das Taxi im Notfall den Fahrgast samt Zylinder schlucken. Eine Aufgabe, an der
jede noch so luxuriöse Limousine vom Festland scheitern muß.
Lange Zeit keine Monokultur
Trotzdem war das britische Taxigewerbe lange Zeit keine Monokultur. Vor dem
Ersten Weltkrieg registrierten die Automobilhistoriker noch knapp 50 Anbieter,
die mit ihren Sonderanfertigungen die Forderungen von Scotland Yard erfüllen
konnten. Heute dagegen gibt es neben dem Fairway nur noch zwei Modelle am Markt,
das charakterlose Metrocab und den im Stil der 20er Jahre gebauten Asquith. Doch
zusammen kommen die beiden in London nur auf einen Zulassungsanteil von etwa 20
Prozent. Der gesamte Rest fährt mit dem Klassiker, dessen letztes Stündlein nach
über 85 000 gebauten Exemplaren jetzt endgültig geschlagen hat.
Daß sich der Oldie so lange halten konnte, liegt nicht nur am bekannten
nostalgischen Gemüt der Briten - es gab einfach nicht viel daran zu verbessern.
Sieht man einmal vom alten Austin-Vierzylinder ab, der 1989 durch einen
2,7-Liter großen Diesel von Nissan ersetzt wurde und von ein paar modernen
Ergänzungen wie den Sicherheitsgurten, der Funkanlage und verbesserten Bremsen.
Karosserie ruht auf stabilem Kastenrahmen
Nach wie vor ruht die Karosserie auf einem stabilen Kastenrahmen. Wie eh und je
wirken die Räder zu dünn und die Spur zu schmal. Auch im Innenraum hat sich nur
wenig verändert: Es gibt seit 39 Jahren eine breite Dreierbank und in der
Trennwand zwei Klappsitze. Und neben dem Fahrer klafft immer noch die große
Lücke, in der selbst Phileas Fogg das Gepäck für seine Weltumrundung in 80 Tagen
untergebracht hätte.
Das dürfte ihm auch bei dem nur behutsam retuschierten Nachfolger TX 1 wieder
gelingen. Denn obwohl der Fahrer jetzt etwas bequemer sitzt und auf ein neu
gestaltetes Armaturenbrett schaut, wurde auf den Beifahrersitz in der ersten
Reihe weiterhin verzichtet. Wirklich neu ist beispielsweise der integrierte
Kindersitz. Neu sind auch die leichtgängigen Türgriffe, die leuchten, wenn das
Taxi frei ist.
Umsatz durch die Umstellung auf Fairway gesteigert
Wer sich im Fond eines London-Taxis niederlassen möchte, der muß dafür nicht
unbedingt über den Ärmelkanal reisen. Schon seit geraumer Zeit gibt es
hierzulande eine ganze Reihe auf eigene Faust importierter Modelle, die vor
allem für Hochzeiten und Familienfeiern eingesetzt werden. Seit 1995 hat LTI
Carbodies mit der Firma London Taxi Continental auch einen offiziellen
Vertriebspartner in Deutschland. Von Essen aus werden die zum Linkslenker
umgebauten Klassiker vor allem an professionelle Taxiunternehmer verkauft - nach
Angaben des Unternehmens immerhin rund 50 Exemplare im Jahr.
Firmensprecher Erik Peil berichtet von einem Kunden in Hannover, der seinen
Umsatz durch die Umstellung von Mercedes auf Fairway um rund 20 Prozent
gesteigert hat. Obwohl der Brite gut 10.000 Mark mehr kostet als die deutsche
Standard-Taxe aus Stuttgart, dürfte sich diese Entscheidung durchaus gelohnt
haben. Doch Hannover ist kein Einzelfall: Wer genau hinschaut, der entdeckt auch
in München am Bahnhof oder in Frankfurt vor dem Flughafen einen Klassiker von
der Insel. Allerdings glänzt der dann nicht in tiefem Schwarz, sondern ganz den
deutschen Regeln folgend in mattem "Hellelfenbein". Die Fluggäste, die gerade
aus London eingeschwebt sind, werden ihn sicher auch so erkennen. Fotos: dpa
Quelle: Rhein-zeitung online 19.12.1997